Hintergrund

Gewalt rund um den Fußball – zwischen Fußballfans unterschiedlicher Vereine, sowie Fans und der Polizei – beschäftigt die Öffentlichkeit regelmäßig und seit vielen Jahren. Hierbei liegt der Fokus insbesondere auf der Ausübung von Gewalt, Täter*innen und den geforderten, überwiegend repressiven Maßnahmen. Weniger Berücksichtigung – weder bei Verbänden und Vereinen, noch in den Medien – finden Ausschlussmechanismen und Barrieren, die den Zugang zum Fußball erschweren sowie die Perspektive von Opfern von Gewalt und Diskriminierung.

Gerade aber der männlich geprägte Fußballkontext kann Ausschlüsse und Unsicherheit sowie Angst vor Übergriffen bei unterrepräsentierten Gruppen im Fußballstadion wie lsbtiq* Personen produzieren. Unsere These lautet demnach, dass dies eine Barriere für queere Fans und potentiell Interessierte darstellt und die Menschen somit dem Zuschauer*innensport Fußball fernbleiben.

Ziele

Profi-Männerfußball gilt hierzulande als kulturelles Gut, das demnach für alle Menschen verfügbar und zugänglich sein sollte. Die übergeordneten Ziele sind folglich, Barrieren abzubauen, den Zuschauer*innensport Fußball zugänglicher zu machen und präventive Schutzmaßnahmen einzuführen. Denn bislang gibt es kaum strukturelle Maßnahmen seitens der Vereine und Verbände, geschlechtliche und sexuelle Vielfalt zu fördern, gegen die Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung vorzugehen und Betroffene von Gewalt und Ausgrenzung zu schützen. Außerdem setzen wir uns zum Ziel, das Wissen um LSBTIQ*-Feindlichkeit im Stadion zu erweitern und fußballspezifische Antidiskriminierungsarbeit weiterzuentwickeln.

Vorhaben

Forschung: Mittels qualitativer Forschung wollen wir der Frage nachgehen, wie LSBTIQ-Feindlichkeit im Zuschauer*innensport Fußball funktioniert. Wir wollen den Status Quo von Homo-und Transfeindlichkeit im Stadion erheben, Veränderungspotentiale finden und diese beschreiben. Der Fokus der Forschung liegt zunächst vorrangig auf Interviews mit lsbtiq* Fans und denjenigen, die sich für Fußball interessieren, aber nicht ins Stadion gehen. Ziel ist es, deren spezifische Bedarfe zu erheben. Im weiteren Verlauf werden Expert*innen interviewt, um die Strukturen im Stadion besser zu verstehen und Veränderungspotentiale erkennen zu können. Durch teilnehmende Beobachtung wird die Perspektive auf das große Ganze (die Strukturen im Stadion/ in der Gesellschaft) sowie auf Details (individuelles Handeln) ergänzt.

Beratung / Konzeptentwicklung Modellstandorte: Gleichzeitig kooperieren wir mit vier Profivereinen, um Konzepte und Vorgehen zu erarbeiten wie Vielfalt gefördert und Diskriminierung im Stadion und im Verein abgebaut werden kann. Wir freuen uns über die Zusammenarbeit mit Borussia Dortmund, Hertha BSC, VfB Stuttgart und dem VfL Wolfsburg. Die standortspezifischen Gegebenheiten und unterschiedlichen Ausgangssituationen erfordern jeweils individuelle Prozesse, die wir in den kommenden Projektjahren begleiten werden. Unterstützt wird der Prozess der Beratung und Konzeptentwicklung durch die o.g. praxisorientierte Forschung. Die Ergebnisse fließen unmittelbar in die Anregung und Umsetzung von Maßnahmen an den Standorten mit ein.

Leitfadenentwicklung / EURO 2024: Erfahrungen und Ergebnisse der Prozesse zur Vielfaltsförderung an den Modellstandorten münden im weiteren Projektverlauf in einen Leitfaden. Dieser kann von weiteren Standorten für die eigene Arbeit genutzt werden. Zur Fußballeuropameisterschaft der Männer (EURO 2024) sollen die Konzepte und Maßnahmen an den Austragungsstandorten Anwendung finden. Dies wird in Kooperation mit dem DFB vorbereitet und durchgeführt.


 

*Begrifflichkeiten

Der Ausdruck ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt’ macht darauf aufmerksam, dass es eine Vielzahl an Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen gibt. In westlichen Gesellschaften dominiert das Zwei-Geschlechtersystem, obwohl es mittlerweile hierzulande eine rechtliche anerkannte dritte Option gibt. Ebenso wird Heterosexualität meist selbstverständlich vorausgesetzt. Beides produziert Ausschlüsse für Menschen, die sich zum Beispiel nicht als Frau oder Mann identifizieren oder nicht heterosexuell leben. Wir arbeiten mit der Abkürzung lsbtiq*. Dies steht für: lesbisch, schwul, bi, trans*, inter* und queer*. Während lesbisch, schwul, bi und hetero Beispiele für sexuelle Orientierungen sind, sind trans* und inter* Bezeichnungen für Geschlechtsidentitäten. Bei trans*(-geschlechlechtlichen, -identen, -sexuellen) Personen entspricht die Geschlechtsidentität nicht dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesenen wurde. Inter*(-geschlechtlich, -sexuell) sind Menschen, deren biologische Merkmale (z.B. Hormone oder Chromosomen) sowohl als „männlich“ als auch als „weiblich“ gelten. In diesem Kontext ermöglicht der * (genannt Asterisk) es auch in der geschriebenen Sprache individuelle Geschlechteridentitäten darzustellen. Queer kann in diesem Zusammenhang sowohl als Geschlechtsidentität als auch als sexuelle Orientierung genutzt werden. Viele Menschen nutzen die Bezeichnung „queer“ für sich als Gegenentwurf zu der meist unhinterfragten gesellschaftlichen Heteronorm.